ERGOLDING. „Emma ist vier Jahre alt, aber ihre Datenspur im Internet reicht schon viel weiter zurück. Bereits das erste Ultraschallbild haben ihre Eltern bei Instagram gepostet.“ Mit diesem prägnanten Zitat begrüßte Dr. Ewald Bichler, der Schulleiter des Gymnasiums Ergolding, die knapp 300 interessierten Zuhörer zum Fachvortrag des Dipl. Psychologen Rüdiger Maas. Dieser hielt in der Aula des Gymnasiums im Rahmen des Schuljubiläums einen viel beachteten und sehr erfrischenden Impuls-Vortrag zum Thema „In welchem Lebensumfeld wachsen unsere Kinder auf?“
Dr. Ewald Bichler hatte obiges Zitat dem Klappentext des Buches „Generation lebensunfähig – Wie Kinder um ihre Zukunft gebracht werden“ von Rüdiger Maas entnommen und den renommierten Experten zum Thema Generationenforschung an seine Schule eingeladen. Dr. Bichler zeigte sich beeindruckt von Maas Arbeit und freute sich, durch Rüdiger Maas einen Einblick in die aktuelle Forschung zu bekommen. Finanziert wurde der akademische Fachvortrag vom Förderverein der Schule, so dass die kurzweilige Vorlesung für alle Anwesenden gratis war.
Wie Rüdiger Maas erklärte, war er bereits vor über 20 Jahren auf das Thema Digitalisierung und deren Einfluss auf uns Menschen aufmerksam geworden, als er in Japan Psychologie studierte. „Bereits damals war Japan schon sehr technisiert und alle schauten ausschließlich auf ihr Handy. Das gab es bei uns in Deutschland noch nicht. Mir war aber klar, dass diese Entwicklung auch bei uns einkehren würde und daher habe ich mich mit diesem Phänomen wohl schon früher beschäftigt als andere“, erklärte der Psychologe eingangs. Heute seien das Handy und die Digitalisierung ein omnipräsenter Teil des Lebens. Es ist völlig normal, das Handy immer dabei zu haben – und auch darauf angewiesen zu sein. Maas führte seine Erkenntnisse mit vielen kurzweiligen Beispielen aus und erzählte, wie er neulich eine Gruppe Teenager beeindruckte, die völlig hoffnungslos am Bahnhof stand, weil der Zug ausgefallen war. Das Handy der Jugendlichen zeigte keine Verbindung an und sie bangten um ihre Weiterfahrt. Maas geleitete sie infolgedessen an den analogen, gelben Abfahrtsplan, der an jedem Gleis eines jeden Bahnhofes hängt, und erklärte diesen knapp. Die Jugendlichen zeigten sich schwer beeindruckt von dieser raffinierten Erfindung, studierten den Plan eingehend und waren Maas sehr dankbar.
Mit humoristischen Beispielen wie diesem zeigte der Wissenschaftler auf, welche Gefahren dieses blinde Vertrauen auf digitale Medien birgt und erklärte somit auch seinen Buchtitel „Generation lebensunfähig“. Im Blick hatte Maas, der als Professor an der Universität Augsburg lehrt, hierbei vor allem die Generation Alpha (geboren 2010-2025), die in die Nachfolge der Generation Z getreten ist, aber auch die Eltern dieser Generationen.
Die wichtigsten Schlagworte, zu denen Maas genaue Ausführungen gab, waren die Digitalisierung, die Übersättigung, die demografischen Veränderungen oder auch das Phänomen von „Vernachlässigung und Überbehütung“. So wachsen die Kinder von heute in einer Welt voller Überfluss auf, was negative Auswirkungen auf sie hätte. „Wir stellen unsere Kinder ständig vor die Auswahl und bieten ihnen unüberschaubare Möglichkeiten in den Bereichen Sport, Essen, Freizeit oder Spielsachen“. Früher hätte es das nicht gegeben. „Wir hatten nichts oder nicht viel und damit aber die Möglichkeit, etwas zu schaffen und selbst tätig zu werden. Diese Unüberschaubarkeit macht aber nicht glücklich, sie überfordert uns“, erklärte Maas. Während wir unsere Kinder auf der einen Seite also mit materiellen Dingen überschütten, würden wir sie auf der anderen Seite – vor allem emotional – oft vernachlässigen: Jugendliche verbringen oft zwischen vier und sechs Stunden täglich am Handy und entgleiten so in die Parallelwelt des Internets. Sie lassen sich von 20-sekündigen „Tik-Tok“-Videos berieseln, von denen sie am nächsten Tag kein einziges mehr wieder erkennen würden.
Die Folgen davon sind bereits jetzt messbar und gravierend: Die Kinder werden immer unselbständiger und leistungsunfähiger. Auch leiden immer mehr Jugendliche an Angststörungen und Depressionen. 20 Prozent aller Kinder werden täglich zur Schule gefahren und Eltern sitzen inzwischen schon bei Bewerbungsgesprächen dabei. Kommt ein Kind nun zu spät zur Schule, so ist zum Glück immer die Mama schuld und nicht das Kind selbst. „Unser Nachwuchs lernt nicht mehr selbst zu handeln und selbst Verantwortung zu übernehmen“, führte Maas aus und erläuterte dazu auch die psychologische Studie der selbst-erlernten Hilflosigkeit nach Martin Seligman. Des Weiteren ging Maas auch faktenbasiert auf eine mangelnde Empathie-Fähigkeit der Generationen Alpha und Z ein. Er betonte zudem mehrfach, dass sich Jugendliche immer weniger von Erwachsenen abgrenzten und somit keine Gegenkultur mehr anstrebten.
Doch da diese Generationen künftig auf den Arbeitsmarkt streben, sorgen sie immer öfter für Irritationen bei älteren Menschen. Um so wichtiger sei es, sich mit diesen aktuellen Entwicklungen auseinanderzusetzen, um diese jungen Menschen zu verstehen. Maas freute sich daher immer sehr, an Schulen zu referieren. Im Anschluss an seinen Vortrag stand Rüdiger Maas allen Interessenten noch Rede und Antwort zu diversen Fragen rund um dieses Thema.
Simone Steckenbiller